Bericht eines unabhängigen internationalen Wahlbeobachters

1%20WE~1 3%20Interview%20im%20Fernsehen 4%20Versiegelte%20Wahlurne%20im%20Wahllokal 5%20WA~16%20BE~1Bild1: Werbung für die Teilnahme bei der Wahl an der Pädagogischen Uni in Minsk

Bild2: Prof. Dr. Peter Bachmaier im TV-Interview

Bild3: Versiegelte Wahlurne

Bild4: Wahlkommission an der Linguistischen Universität in Minsk

Bild5: Besuch beim 1. Sekretär des Zentralkomitees des Jugendverbandes BRSM

Präsidentschaftswahlen in Belarus: Bestätigung des unabhängigen Kurses

12. Oktober 2015

Alexander Lukaschenko hat die Präsidentschaftswahlen in Belarus am 11. Oktober 2015 mit 83,5 % aller Stimmen gewonnen. An zweiter Stelle lag die Kandidatin Tatjana Korotkewitsch vom „Volksreferendum“, die durch die EVP-Partnerpartei Belarussische Volksfront und in zweiter Linie durch die Sozialdemokratische Partei von Belarus unterstützt wurde, mit ca. 5 % der Stimmen, dann die Kandidaten Sergej Gajdukewitsch von der Liberaldemokratischen Partei mit 3,5 % und der Kosakenhetman Nikolaj Ulachowitsch von der „Patriotischen Partei“ mit 1,7 % der Stimmen. „Gegen alle Kandidaten“ sprachen sich 6,5 % der Wähler aus. In der Hauptstadt Minsk erhielt Lukaschenko nur 65 % der Stimmen, und 20 % sprachen sich „gegen alle Kandidaten“ aus. Der Zweite Nationalratspräsident Österreichs, Karlheinz Kopf, der am zweiten Tag nach der Wahl mit Wirtschaftskammerpräsident Leitl und einer Wirtschaftsdelegation in Minsk eintraf, gratulierte Lukaschenko zum “überzeugenden Wahlsieg“.

Die Wahlen waren sehr gut organisiert, wie alle Beobachter feststellten. Es gab zwar keine Wahlplakate und Wahlwerbung wie in den westlichen Ländern, aber Wahlversammlungen, sowie Ansprachen und Diskussionen mit den Kandidaten im Fernsehen. Präsident Lukaschenko verzichtete auf eine Wahlrede im Fernsehen. Die Wahllokale waren meist in Schulen untergebracht, und die Schuldirektoren veranstalteten Konzerte mit den Schülern oder luden Musik- und Tanzgruppen dazu ein. Es gab auch Verkaufsstände, die Kunsthandwerk anboten. Die Wahlen verliefen sehr ruhig und in einer feierlichen Stimmung. Die offiziellen Wahlkommissionen bestanden aus sechs bis acht Mitgliedern, denen auf der anderen Seite Wahlbeobachter gegenübersaßen, die von den Kandidaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem oppositionellen Helsinkikomitee, der Kommunistischen Partei, der Liberaldemokratischen Partei, der Patriotischen Partei, der Partei der Arbeit, der Liga für Menschenrechte u.a. entsandt wurden. Die internationalen Wahlbeobachter der OSZE (450 Beobachter im ganzen Land), der GUS und der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit sowie die unabhängigen internationalen Beobachter waren in den Wahllokalen nicht ständig anwesend, aber beobachteten am Wahltag um 17 Uhr die Auszählung der Stimmen. Zusätzlich waren bei den Wahlen etwa 100 ausländische Journalisten akkreditiert.

Die Motive für den hohen Sieg Lukaschenkos, wie ich sie in vielen Gesprächen mit Wählern erfahren habe, waren zunächst die Zustimmung der Menschen zum „sozialorientierten Volksstaat“, der den Menschen Sicherheit, Stabilität, Vollbeschäftigung, ein kostenloses Gesundheitswesen und Bildungswesen und ein fixes, wenngleich bescheidenes Einkommen gewährleistet, auf der anderen Seite die beunruhigende internationale Lage: die Migrationskrise in der EU, die Krise im Nachbarland Ukraine und die Kriege in Syrien, Afghanistan und im Irak.

Ich konnte als unabhängiger internationaler Beobachter etwa zehn Wahllokale besuchen, in denen alles in größter Ordnung verlief und die Wähler in die Wahlzelle gingen und den Wahlzettel in eine versiegelte und transparente Wahlurne einwarfen. Ich versuchte immer, mit den Wahlbeobachtern der Opposition zu sprechen, um ihre Argumente zu hören. Sie brachten keine schwerwiegenden Einwände oder Beanstandungen vor. Ein Vertreterin des Helsinkikomitees, die an der Europäischen Humanistischen Universität in Wilna, die von der EU finanziert wird, studiert hatte, sagte mir: „Das ist keine Wahl, denn die Menschen haben keine Alternative!“ Ich antwortete ihr: „In einem gewissen Sinne haben Sie recht. Es gibt zum unabhängigen Kurs des Landes keine Alternative. Bei uns im Westen gibt es den Pluralismus, man kann verschiedene Parteien wählen. Aber was ändert sich damit?“ Das gab sie schließlich zu, und wandte nur ein: „Aber Sie verdienen wenigstens mehr!“

Belarus ist seit dem Referendum von 1996 eine Präsidialrepublik mit einer starken „Vertikale der Macht“, in der der Präsident die Regierung einsetzt und die Grundlinien der Innen- und Außenpolitik bestimmt. Aber der Präsident wird alle fünf Jahre gewählt, und Alexander Lukaschenko erhielt bereits am 10. Juli 1994 eine Mehrheit von 81 % der Stimmen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Wjatscheslaw Kebitsch. Belarus hat seither einen erfolgreichen Weg verfolgt, und erreichte im Jahr 2003 als erstes postsowjetisches Land das Niveau von 1991 wider. Es hat heute ein Nationaleinkommen pro Kopf der Bevölkerung, das mehr als doppelt so hoch wie in der Ukraine und in der Moldau und auch höher als in Russland ist.

Dennoch erklärte der Vorsitzende der OSZE-Beobachtungskommission, Kent Harstedt, am Tag nach der Wahl: „Einige bedeutende Probleme, insbesondere bei der Auszählung und Auswertung der Stimmen, untergraben die Integrität der Wahl.“ Kurz vorher hatte der Vorsitzende der Wahlkommission der Parlamentarischen Kommission des Europarats, der türkische Parlamentarier Reha Denemec, die Wahlen für „normal“ erklärt, aber eine Reform des Wahlgesetzes vorgeschlagen. Der österreichische Politologe Christian Haerpfer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, der die Wahlen als unabhängiger Experte beobachtete, äußerte die Meinung, daß die Wahlen „allen weltweit anerkannten Wahlnormen entsprechen“.

Am 11. Oktober 2015 versammelten sich zwei Stunden nach der Schließung der Wahllokale etwa 200 Personen vor dem Palast des Präsidenten, um noch vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses mit der weiß-rot-weißen Fahne, die von 1991 bis 1995 als Nationalflagge benutzt wurde, und EU-Fahnen gegen die „Diktatur“ und für den „Anschluss an Europa“ zu demonstrieren. Sie zogen zum Jakub-Kolas-Platz, wo sie sich auf ca. 500 Menschen vermehrten. Sie konnten diesmal allerdings nicht die Stärke von 2010 erreichen, als zehntausende gegen den Präsidenten demonstrierten und auch versuchten, das Parlamentsgebäude zu stürmen.

Die EU wählte diesmal die Taktik, die Opposition nicht wirksam zu unterstützen, sondern auf dem Weg der „soft power“ dem Land einen Kredit in Aussicht zu stellen, der allerdings an weitere Schritte der „Demokratisierung“ gebunden ist. Die EU erwägt eine „Aussetzung“ der Sanktionen gegen Belarus – EU-Einreiseverbote und Kontosperrungen – , von denen 175 Einzelpersonen (Präsident Lukaschenko und alle Führungspersonen des Staates und der Wirtschaft) und 14 Organisationen betroffen sind.

Prof. Dr. Peter Bachmaier

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